Die Reise - August 2003

Die Reise – August 2003

Zentrum St. Paul, Kigali


St. Paul hat eine Geschichte. Eine Geschichte, die die meisten von uns nicht kennen. Bevor ich unseren Aufenthalt in St. Paul schildere, werde ich euch erzählen, was 1994 dort passiert ist; in dem Jahr, an das sich jeder Rwander immer erinnern wird.
Im April 1994 waren das katholische Zentrum St. Paul und die Kirche St. Famille nebenan für viele Menschen Zufluchtsorte. Im Zentrum St. Paul gab es damals etwa 2.000 Flüchtlinge, alle befanden sich unter dem Schutz des Priesters Célestin Hakizimana. Er holte bedrohte Familien ab und versorgte sie mit Nahrung. Er bestach Soldaten und Milizen, die damit drohten, Leute umzubringen. Er brachte sie sogar dazu, bedrohte Personen in das nahe gelegene Hotel »Mille Collines« zu begleiten, wo sie Schutz fanden. Oder er versteckte Personen an Orten, die nur er selbst kannte.

Trotz all seiner Bemühungen konnte Célestin das Massaker, das ihn und etwa 50 andere Menschen, die auf einer Liste standen, das Leben gekostet hat, nicht verhindern. Er verhandelte, bettelte, alles war vergeblich. Aber seine Tapferkeit rettete 4.500 Menschen das Leben, die ihn heute als Helden bezeichnen, und dieser Mann war ein Held. Hätte es mehr Menschen wie ihn gegeben, dann hätte der Genozid nicht so ein unglaubliches Ausmaß angenommen, sagt eine Frau, die er vor dem Tod gerettet hat.
Weitere Informationen finden sich in der Veröffentlichung »Hommage au Courage« von »African Rights: Working for Justice«. London 2002.



Da Ihr jetzt die Geschichte von St. Paul kennt, werde ich euch von den drei Wochen erzählen, die wir dort verbracht haben.

Das Zentrum St. Paul
Als wir in Kigali ankommen, holen uns mehrere Personen des DED, der GTZ und Freunde vom Flughafen ab. Wir fahren in die Stadt, zu unserer Unterkunft, dem Zentrum St. Paul. Als wir den Namen »Zentrum St. Paul« hören, wissen wir sofort, dass es kein Hotel ist, sondern eine Art Herberge, geleitet von Schwestern. Wir wollen uns überraschen lassen. Jeder hat sich so seine Gedanken darüber gemacht. Ich hatte mir einen ruhigen Ort vorgestellt, im Grünen, Frühstück mit Eiern aus dem hauseigenen Hühnerstall, Salat und Tomaten aus dem Garten, hausgemachte Marmelade und Käse.

Im Gegensatz zu meinen Vorstellungen stellt sich heraus, dass St. Paul direkt im Zentrum von Kigali liegt. Der zentrale Kreisverkehr ist nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Das Zentrum besteht aus einem Gebäude, in dem die Verwaltung, die Küche, ein kleiner Laden, ein großer Saal und einige Versammlungsräume untergebracht sind, und aus einem Karree von einstöckigen, lang gestreckten Häusern. Hier befinden sich die Zweierzimmer, in denen wir den größten Teil der nächsten drei Wochen verbringen werden. Man hat einen schönen Blick über einen Teil von Kigali, da das Zentrum auf einem Hügel liegt. Dort angekommen, sind wir alle voller Befürchtungen: „Wie werden unsere Zimmer sein?“, vor allem, da wir todmüde sind. Xaverine, die diese Unterkunft für uns organisiert und auch sonst viel Arbeit in die Organisation unserer Reise gesteckt hat, verteilt die Schlüssel. Die Zimmer sind in der Mitte durch eine Wand unterteilt, in jeder Hälfte steht ein Bett. Es gibt auch ein Waschbecken. Die Duschen und Toiletten sind am Ende jedes Gebäudes und hygienisch etwas gewöhnungsbedürftig. Die Duschen sind von einigen voyeuristischen Geckos (kleinen Eidechsen) bewohnt. Wir legen uns sofort hin, und halten einen langen Mittagsschlaf, um uns von den Strapazen des Fluges zu erholen.

Eine warme Dusche ist zwischen 6:00h und 7:00h möglich. Außerhalb dieser günstigen Zeit hört man unterschiedliche Schreie. Freudenschreie von Jean-Louis, der gerade einen warmen Wasserstrahl abbekommt, und fast gleichzeitig einen Horrorschrei von Safi, der zum selben Zeitpunkt einen kalten Wasserstrahl aushalten muss. Kompromisse werden notwendig.

Josine, die Spezialistin, hat ihr Werkzeug mitgebracht: Taschenlampe, Medikamente gegen Allergien usw. Ihre Voraussicht hilft uns sehr. Sang-Min hat auch an alles gedacht, sogar an Desinfektionsmittel! Die Mädchen fangen an, aus schwarzen Plastiktüten, die man überall in Kigali verkauft, Mülleimer zu machen. Die Jungs waschen ihre Wäsche in Eimern und hängen sie an Kleiderbügeln an der Überdachung des Gangs vor den Zimmern auf. Safi, den die ganzen Viecher nerven, kauft schließlich Insektizide, was Marie und Nancy hilft, sich nicht mehr wegen der Ameisen, die überall hinkommen, zu streiten. Es ist unmöglich, ein süßes Getränk oder ein Beignet (Kuchen) irgendwo abzustellen. Die Ameisen sind überall! Fanta und Cola kann man im Laden des Zentrums, aber auch in den entlegensten Winkeln des Landes kaufen. Diese Getränke werden in Lizenz in und für Afrika hergestellt.

Das Essen im Zentrum besteht aus dem Frühstück mit Weißbrot und Blueband Margarine und aus zwei warmen Mahlzeiten am Tag. Es gibt die landestypischen roten Bohnen, Reis, Pommes, Fleisch (was nicht zur täglichen Nahrung der Rwander gehört), manchmal Kochbananen, Süßkartoffeln oder auch Ubugali (aus Maniok) und dazu eine Soße.

Wir verbringen viel Zeit in St. Paul, auch ein Teil des Programms findet hier statt, die Vorbereitungen für verschiedene Programmpunkte und die Diskussionen und Planungen. Wie Christoph sagt: „Ich kenne die Innenmauern von St. Paul auswendig.“ Wir können von hieraus in Kleingruppen ins Stadtzentrum aufbrechen, zum Markt, zu den vielen Läden und Restaurants. Oft bleiben wir nachts länger weg als 22:00h, in der Disko oder im Haus der Jugend in Kimisagara, weshalb wir den sehr geduldigen Nachtwächter wecken müssen, damit er uns das Tor öffnet. Pierrot benennt St. Paul in Sean Paul um, was uns zum Lachen bringt, da wir an den jamaikanischen Star denken müssen, auf dessen Lieder wir jeden Abend vor unserem kleinen Zimmer tanzen. Schließlich findet Chantal die Geckos sogar süß, vor allem die Babies. Man muss wissen, dass wir ganzen Familien von Geckos in unseren Zimmern Unterkunft gewähren. Am Ende unseres Aufenthalts haben wir uns an St. Paul gewöhnt.



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