Die Reise - August 2003

Die Reise – August 2003

Rezension


Thomas Mazimpaka: »Ein Tutsi in Deutschland – Das Schicksal eines Flüchtlings« Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1997, 288 S.

Der sehr persönliche Bericht des Autors Thomas Mazimpaka umfaßt zwei Teile, die letzten Jahre seit dem Ausbruch des Krieges am 1. Oktober 1990 in seiner Heimat Rwanda und dann seine Reise nach Deutschland und die Erfahrungen, die er hier als Asylbewerber macht. Der Autor beschreibt seine Empfindungen und Ängste, als sich ab 1990 die Situation in seiner Heimat zuspitzt, als nun alle Angehörigen der Bevölkerungsgruppe Tutsi als potentielle Feinde des Regimes betrachtet werden. Offensichtlich hat sich der Autor die rassistischen Beschreibungen, Stereotype und Etikettierungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen Rwandas ohne Probleme zueigen gemacht. Oder seine Schilderung ist durch die späteren Ereignisse, den Völkermord an der Tutsi-Bevölkerung 1994, und auch die Rezeption der gesellschaftlichen Strukturen in den Medien geprägt. Er wiederholt dieses eindeutige, auch in europäischen Medien immer wieder produzierte, Bild, die Tutsi (und das heißt alle) sind die Guten und die Opfer, die Hutu (und das heißt auch wiederum alle) sind die Bösen und die Täter: „Die Geschichte hat die anhaltenden Gerüchte über die von Hutus erwünschte Ermordung aller Tutsis bestätigt” (S. 59). Diese Wahrnehmung entspricht leider der häufig sehr vereinfachten Darstellung in Europa wie auch in extremistischen Kreisen in Rwanda. Daß z.B. die Nachbarin, eine Hutu, ihn immer freundschaftlich unterstützt hat, scheint das Bild nicht zu trüben. Diese einseitige Wahrnehmung von gesellschaftlicher Realität ist ein zentraler Punkt der Konflikte innerhalb der rwandischen Gesellschaft.

Th. Mazimpaka verläßt Rwanda im September 1991, kann sich rechtzeitig vor dem Völkermord an den Tutsi und den Massakern an Oppositionellen der Hutu-Bevölkerung retten und kommt in ein unfreundliches und ungastliches Land. Sieben Jahre lang, bis 1999, befand er sich im Asylverfahren. Während dieser Zeit erträgt er die äußerst tristen Bedingungen in Asylbewerberheimen besonders in den neuen Bundesländern, die alltäglichen Rassismen gegenüber einem schwarzen Afrikaner, die Angst vor tätlichen Angriffen, die seelenlose Bürokratie der deutschen Behörden.

Er lernt sehr schnell Deutsch, versucht, Arbeit zu finden. Mit viel Engagement und Initiative bemüht er sich, sich in die fremde Gesellschaft zu integrieren. Er setzt sich mit Behörden auseinander und fordert seine Rechte. Es gibt Zeiten der tiefen Traurigkeit und Verzweiflung, und trotzdem rafft er sich immer wieder auf. Er gewinnt Freunde, besonders in kirchlichen Kreisen. Sie helfen ihm, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, die er sehr plastisch mit vielen alltäglichen Situationen vermittelt.
Nach einer Untätigkeitsklage gegen das Bundesamt für Asylbewerbungen eröffneten ihm die Behörden 1994, sein Verfahren würde ausgesetzt, man könne die Lage in seinem Heimatland nicht beurteilen und ob diese eine Asylanerkennung rechtfertigen würde. Dies ist der lapidare Satz, der den wenigen Asylbewerbern aus Rwanda, die überhaupt bis Deutschland kamen und gegen die Nichtbehandlung ihrer Anträge klagen, immer mitgeteilt wird.

1997 wurde Thomas Mazimpaka zu einem Medienstar, vermarktet von Talkshows, Radio und Zeitungen. Sein Buch wurde geradezu zum Kultbuch für Menschenrechtsgruppen und Solidaritätsinitiativen. Zum ersten Mal hat einer von hunderttausenden Flüchtlingen, die sich häufig seit vielen Jahren in ähnlichen Situationen befinden, seine Erfahrungen veröffentlicht und konnte sich auch öffentlich darstellen. Zahlreiche Gelegenheiten wurden ihm dazu geboten. 1998 teilte Mazimpaka anläßlich einer Veranstaltung mit, er wolle kein Asyl mehr in Deutschland, er würde in Israel um Asyl bitten, er sei der Messias. Seine Unterstützer und die Medien hat er mit dieser Aussage sehr verwirrt.

Er ist ein Opfer geworden, erst des Rassismus und Völkermords in Rwanda, dann der deutschen Behörden, der deutschen Medien und nicht zuletzt auch der Solidaritätsgruppen, die sein Leben und seine traumatisierenden Erfahrungen instrumentalisiert haben. Behörden haben keine Gefühle, sie haben kein Herz, wie auch die meisten Medien nicht; bleibt, daß die Gruppen sich überlegen sollten, ob auf Kosten einer Person Elend und Verzweiflung der vielen anderen Flüchtlinge thematisiert werden dürfen. Thomas Mazimpaka befürchtet, „sein ganzes Leben sei eine verlorene Mühe für Gott” gewesen.
Im Vorwort zum Buch versucht der sächsische Ausländerbeauftragte, ihn zu ermutigen, dem sei nicht so, dieses Buch sei wichtig für viele andere. Das hilft Mazimpaka aber nicht, es ändert nämlich nichts an der Nichtanerkennung der grundlegenden Rechte eines Menschen, in Freiheit und Sicherheit leben zu können. Laut Presseberichten ist Th. Mazimpaka Anfang 1999 nach Rwanda zurückgekehrt, somit können die deutschen Behörden eine Akte schließen. Wie aber wird es dem Autor in seiner Heimat ergehen, die vor fünf Jahren den sicheren Tod für ihn, seine Familie und für mehr als eine halbe Million Menschen bedeutet hat?


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