Die Reise - August 2003

Die Reise – August 2003

Hauptstadt Kigali


Kigali ist eine sehr junge Stadt so wie die gesamte sichtbare rwandische Gesellschaft. In der Stadt sieht man selten ältere Menschen, so ca. dreißig scheint die Altersgrenze zu sein; auf dem Land gibt es etwas mehr langsam weißhaarig Werdende. Viele Ältere wurden ermordet, sind geflüchtet, im Gefängnis oder an Aids gestorben. Im rwandischen Fernsehen sieht man dann die Älteren, die die Regierungsgeschäfte führen oder an wichtigen Konferenzen teilnehmen.

Kigali, geschäftiges Treiben, ein größeres Warenangebot als früher, der Markt im Zentrum ist reich bestückt und nimmt fast medinahafte Formen an.

Es wird seltener Englisch gesprochen, als ich vermutet habe. Dies ist wohl auch eine Frage der Wahrnehmung. Diejenigen, die kein Englisch sprechen, haben wahrscheinlich viel öfter den Eindruck, dass es »Fremde« gibt.

Es gibt, so wie früher auch, besonders Kinder, die betteln, aber nicht übermäßig viele. Die Kleidung hat sich nicht stark verändert, außer, dass die meisten jungen Frauen Hosen tragen, aber das begann schon im Krieg und war in den Flüchtlingslagern zu beobachten, neben dem praktischen kann man Mädchen und Frauen in Hosen nicht so schnell vergewaltigen – schockierend, aber wahr. Die Frisuren sind phantasievoller geworden und ab und zu gibt es elegant gestylte Damen, aber nicht so viele, als dass man von ganz anderen Erscheinungsbildern sprechen könnte. Jung, unendlich jung sind alle, auch viele Funktionsträger.

Auch hier die großen Fahrzeuge der internationalen Hilfe und der Regierung (allen Abgeordneten steht ein prächtiger Wagen zur Verfügung), und offensichtlich hat auch manch ein Privater ein großes Fahrzeug, passend zu den neuen Villen.

Kigali hat sich ziemlich ausgedehnt, im Stadtinnern die Banken, die Post wie immer: Verwaltungsgebäude, Krankenhaus, Lycée Notre Dame des Citeaux, Belgische Schule, Deutsche Botschaft, Radio Rwanda neben der Festung »Amerikanische Botschaft«, Librairie Caritas, das Büro der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der Deutsche Entwicklungsdienst ist umgezogen usw. Viele neue Geschäfte, Supermärkte, chic und gut bestückt, so dass es weder an Schokolade, Wein oder Graubrot mangelt, Cafés, Restaurants, ja Kigali ist um einiges städtischer und internationaler geworden. Aber im Vergleich zu anderen afrikanischen Großstädten ist dies nicht besonders auffällig. In allen Ländern Afrikas gibt es inzwischen gut bestückte Supermärkte, die den europäischen bezüglich des Warenangebots gleichzustellen sind und manchmal sind die Produkte preiswerter als z.B. in Frankreich oder Deutschland, natürlich teuer im Vergleich zu den hiesigen Einkommen.

Auffällig sind die neuen Wohnhäuser in verschiedenen Vierteln. Es sind meist große Villen, gar kleine Paläste auf ziemlich großen Grundstücken, besonders im neuen Viertel Nyarutama in der Nähe der Radiostation »Deutsche Welle«. Dort materialisieren sich die Schätze des Kongo wie Gold, Coltan, Diamanten. Denn woher sonst sollte der Reichtum kommen? Positiv ist, dass sich der Baustil dieser Villen erheblich gewandelt hat. Die Architektur erinnert an die Villen in Kapstadt, und in der Tat erfahre ich, dass die Baupläne aus Südafrika kommen. Die meisten Häuser sind mit Backsteinen und Dachziegeln errichtet (immerhin aus lokal produzierten Materialien). Es sind schöne Häuser, architektonisch eine Verbesserung, vielfältig und mit guten Materialien erbaut, nur auf wessen Kosten? Meist reicht die Schönheit nur bis zum Gartentor. Auf der Straße vor dem Tor muss man akrobatische Verrenkungen machen, um nicht in Schlaglöchern hängen zu bleiben. Die Villen und die vielen Neubauten kann man meist nur aus einer gewissen Distanz bewundern, nämlich vom gegenüber liegenden Hügel, da – die Rwander haben sich zu Meistern entwickelt – fast alle Grundstücke mit hohen und Glasscherben geschmückten Mauern umgeben sind. Hier drückt sich das Gefühl der mangelnden Sicherheit aus, die Hoffnung, durch Mauern Sicherheit zu erlangen, und auch die Angst vor den Armen. Die Diskrepanz zwischen arm und reich ist viel größer geworden, aber da ist Rwanda, im Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern, auch nicht untypisch.



Ich finde nicht, dass der Verkehr zugenommen hat, im Gegenteil, er hat eher abgenommen, auch in Kigali. Und außerhalb der Stadt ist er noch viel seltener, manche Gegenden sind gar nicht mehr zu erreichen. Der Unterhalt der Straßen lässt arg zu wünschen übrig. Die Landpisten werden kaum unterhalten und Umuganda (Gemeinschaftsarbeiten) für die Gemeindestraßen gibt es, nach einem kurzen Aufblühen nach 1994, auch nicht mehr. Die Taxis sind neuer, viele Rechtslenker, gute Chauffeure, die meisten Autos kommen aus dem »afrikanischen« Supermarkt Dubai auf der arabischen Halbinsel. Ja richtig, in Dubai kann man vieles sehr preiswert einkaufen, z. B. Mercedeskarossen.

Medien: In der neuen Buchhandlung Ikirezi in Kigali gibt es eine Vielfalt an Zeitungen und Zeitschriften: »Die Zeit«, »Le Monde«, »Herald Tribune«, die »Freundin«, »Jeune Afrique«, »Newsweek« und ca. 30 bunte Magazine aus Europa. Fast alle Veröffentlichungen der letzten Jahre, auch regimekritische, gibt es dort zu kaufen.

Das Land ist voller Widersprüche. Wenn man die Buchhandlung in der Universitätsstadt Butare betritt, glaubt man sich in das Jahr 1990 versetzt, als hätten sie vor kurzem die Kartons mit dem Umzugsgut ausgepackt, lauter Veröffentlichungen, Studien u.ä. aus den achtziger Jahren in den selben Regalen.

Auf UKW kann man 24 Stunden lang ausländische Sender in den Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch, Kiswahili, Kinyarwanda empfangen: BBC, La Voix d’Amérique, Deutsche Welle, demnächst Radio France International und natürlich Radio Rwanda. Das heißt, auf UKW sind auch kritische Nachrichten in allen Sprachen zu empfangen, viele Korrespondenten der ausländischen Sender könnten kaum nach Rwanda reisen. Wenn man Radio Rwanda hört, dann glaubt man sich in die achtziger Jahre versetzt, die Musik von Impala und anderen Gruppen aus dieser Zeit ist en vogue, von jung und alt geschätzt. Bei »Chez Lando« (Lando Ndasingwa, seine kanadische Ehefrau und ihre Kinder wurden 1994 ermordet) kann man zu diesen Rhythmen tanzen.

Auf dem Musikmarkt gibt es wenig Neues, nur Ben Rutatabana erneuert mit seinen gesellschaftskritischen Liedern das Repertoire, aber das hat ihm auch schon einen Gefängnisaufenthalt eingebracht. Kein Rap, kein Hip Hop – sich Zurückziehen auf Bekanntes, ein bisschen erinnert dies an die Strenge und Enge und auch an das Schweigen der Nachkriegszeit in Deutschland. Der amerikanische Wissenschaftler Peter Uvin sagte anlässlich einer Konferenz zum Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat, das Problem Rwandas sei die »Culture du silence – die Kultur des Schweigens«.

Bildung: Sehr positiv ist, dass diejenigen, die gute Noten haben, auch einen Studienplatz bekommen, ohne ethnische oder regionale Diskriminierung. Und alle, die irgendwie die Mittel aufbringen können, studieren. Acht Universitäten bzw. Fachhochschulen, bis auf die Université Nationale du Rwanda in Butare (Nationale Universität) alle privat, gibt es zurzeit mit Tages-, Abend- und Wochenendkursen. Rwanda könnte sich zu einem Fachkräftepool für die gesamte Region entwickeln, wenn die Nachbarländer nicht politische Bedenken hätten. Denn die Rwander sind in der Region der Großen Seen, nach den Kriegen, den Fluchtbewegungen, die eine schwere Belastung für die Nachbarländer waren, sowie auf Grund der Situation im Nachbarland Demokratische Republik Kongo nicht gerade beliebt.



»Inkiko Gacaca – Ukuri kurakiza«: »Tribunal Agacaca – die Wahrheit befreit«, so steht auf großen Plakaten an allen Ecken. Die Agacaca-Verfahren haben begonnen. Viele erhoffen sich davon, dass endlich die Unschuldigen aus den Gefängnissen und »cachots communaux« (kleine Gefängnisse in den Gemeinden) entlassen werden und die Schuldigen bestraft werden.

Ca. 120.000 sollen in Gefängnissen sein. Für die Täter der ersten Kategorie – Planer des Genozids - werden die Prozesse durch ordentliche Gerichte geführt, für die anderen ist Agacaca vorgesehen. In der Provinz Butare sind ca. 12.000 Personen in den Gefängnissen Butare (ca. 7.800) und Nyanza inhaftiert, etwa 500 werden zur ersten Kategorie gezählt. Die Haftbedingungen haben sich inzwischen erheblich verbessert.

Im März 2003 wurden etwa 20.000 Personen entlassen: Alte, Kranke, ganz Junge und diejenigen, die ihre Schuld eingestanden haben und die Strafe bereits abgesessen haben. Immer wieder treffe ich Leute, die aus dem Gefängnis entlassen wurden. Bei einer Fahrt auf einen der vielen Hügel Rwandas steht eine Gruppe von fünfzehn Jugendlichen um uns herum. Einer der Kollegen unterhält sich des längeren mit ihnen und erfährt, dass sieben Väter im Gefängnis sind. Es wächst eine neue Generation heran, die weitgehend ohne Väter groß wird, denn viele Männer sind 1994 ermordet worden oder ins Ausland geflüchtet.



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